Bedeutende Glaubenstexte aus dem alten Testament

Gott hat einen Namen – jeder hat einen Namen

Das zweite Buch der Bibel (Exodus) erzählt in den Kapiteln 2 und 3 (2,23-3,15) vom Auszug des Volkes Israel aus Ägypten, die Story von der großen Befreiung. Eine Hungersnot hatte einst die zwölf Stämme Israels aus Palästina ins Land der Pharaonen getrieben. Doch bald geriet dort die fremde Sippschaft in Arbeitssklaverei, wo man in Steinbrüchen und Ziegelbrennereien bis zum Umfallen zu schuften hatte. Man vermutet, dass es im 13. Jahrhundert vor Christus zum Aufstand kam und das Volk mit Gottes Hilfe unter Führung von Mose und Aaron dem Pharao entkam. Der berühmte „Auszug aus Ägypten“ ist das zentrale Glaubensereignis des Judentums. Es wird jährlich im Ostermahl (Passahfest) gefeiert. Niemals darf in Vergessenheit geraten, dass Jahwe, der Gott der Juden und der Christen, Arbeitssklaverei nicht duldet, sondern hinausführt in ein schönes, weites, „gelobtes“ Land.

Die Israeliten stöhnten unter der Zwangsarbeit und schrien um Hilfe. Ihr Schreien drang zu Gott und dieser erinnerte sich an den Bund, den er mit Abraham, Isaak und Jakob geschlossen hatte. Er wandte sich den Israeliten zu und kümmerte sich um sie.

Mose hütete die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian. Als er die Herde tief in die Wüste hineintrieb, kam er eines Tages an den Gottesberg, den Horeb. Dort erschien ihm der Engel des Herrn in einer lodernden Flamme, die aus einem Dornbusch schlug. Mose sah nur den brennenden Dornbusch, aber es fiel ihm auf, dass der Busch von der Flamme nicht verzehrt wurde. „Das ist doch seltsam“, dachte er. „Warum verbrennt der Busch nicht? Das muss ich mir aus der Nähe ansehen!“ Als der Herr sah, dass Mose näher kam, rief er ihn aus dem Busch heraus an: „Mose! Mose!“ „Ja“, antwortete Mose, „ich höre!“ „Komm nicht näher!“, sagte der Herr. „Zieh deine Schuhe aus, denn du stehst auf heiligem Boden.“ Dann sagte er: „Ich bin der Gott, den dein Vater verehrt hat, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.“ Da verhüllte Mose sein Gesicht, denn er fürchtete sich, Gott anzusehen.

Weiter sagte der Herr: „Ich habe genau gesehen, wie mein Volk in Ägypten unterdrückt wird. Ich habe gehört, wie es um Hilfe schreit gegen seine Antreiber. Ich weiß, wie sehr es leiden muss, und bin herabgekommen, um es von seinen Unterdrückern zu befreien. Ich will es aus Ägypten führen und in ein fruchtbares und großes Land bringen, ein Land, das von Milch und Honig überfließt. Ich habe den Hilfeschrei der Leute von Israel gehört, ich habe gesehen, wie grausam die Ägypter sie unterdrücken. Deshalb gehe jetzt, ich schicke dich zum Pharao! Du sollst mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten herausführen.“ Aber Mose wandte ein: „Ich? Wer bin ich denn! Wie kann ich zum Pharao gehen und das Volk Israel aus Ägypten herausführen?“ Gott antwortete: „Ich werde dir beistehen. Und das ist das Zeichen, an dem du erkennst, dass ich dich beauftragt habe: Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast, werdet ihr mir an diesem Berg Opfer darbringen und mich anbeten.“

Mose sagte zu Gott: „Wenn ich nun zu den Leuten von Israel komme und zu ihnen sage: Der Gott eurer Vorfahren hat mich zu euch geschickt, und sie mich dann fragen: Wie ist sein Name? – was soll ich ihnen sagen?“ Gott antwortete: „Ich bin da“, und er fügte hinzu: „Sag zum Volk Israel: Der Ich-bin-da hat mich zu euch geschickt: der Herr! Er ist der Gott eurer Vorfahren, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Denn Herr (Er-ist-da) ist mein Name für alle Zeiten. Mit diesem Namen sollen mich auch die kommenden Generationen ansprechen, wenn sie zu mir beten.“

Er „fährt herab“, so heißt es wörtlich im Text, um das unterdrückte Volk den Unterdrückern zu entreißen. Er ist ein Gott, der aus Leidenschaft für die Menschen brennt. So kann man wohl die seltsame Erscheinung deuten, dass sich Gott dem Mose in einem brennenden, aber nicht verbrennenden Dornbusch zeigt. Das Feuer – etwas Kostbares im Leben der Nomaden – bedeutet immer Leidenschaft, Veränderung, Umgestaltung, nicht Zerstörung. Was da abgeht mit Gottes Volk in Ägypten, muss durch Feuer hindurch, muss verwandelt und umgestaltet werden.

Dieser Gott gibt sich dem Mose nicht nur im Zeichen, sondern auch in seinem ganzen Wesen zu erkennen. „Erkennen“ heißt in der Bibel mehr als nur sehen und begreifen. Es bedeutet, sich dem andern gegenüber liebend zu öffnen und sich ihm hinzugeben.

Gott liebt sein Volk so sehr, dass er seinen eigenen Namen mit dieser Liebe verbindet, seinen Kosenamen sozusagen: Er ist der „Ich-bin-da“. Er ist immer da, wach und stets präsent, wie Liebende füreinander da sind.

Wenn dieser Gott der Bibel sich für die Nomaden damals nicht zu schade war, dann sicher auch für die Nomaden heute auf der Autobahn mit ihren Karawanen. Dann brennt er auch für sie aus Leidenschaft. Abhängigkeit, Unterdrückung sind nicht sein Ding! Da fährt er, da „fährt er herab“, denn alle sollen ein Leben in Fülle haben.

In diesem Abschnitt aus dem Buche „Exodus“ verbergen sich vier tiefer liegende Schichten, die freizulegen sich lohnt.

Die erste Botschaft:
Gott sieht unser Elend
und hört unser Schreien.

Er hält sich nicht die Augen und Ohren zu, wenn Menschen unter der Last ihrer Arbeit zerbrechen und ihr Arbeitsleid beklagen. Er hört das Stöhnen und Seufzen der Geplagten. Er sieht auch heute die Not der Fahrer, all das, was sie Tag für Tag zu beklagen haben: den unendlichen Stress, den ihnen der vernichtende internationale Wettbewerb und die Profitgier bescheren, Termindruck, Überziehung der Lenkzeiten und Geschwindigkeiten, die Gefährdung des gesamten Straßenverkehrs, die daraus resultiert. Er kennt die Not der Scheinselbstständigen, die sich Tag und Nacht um Kopf und Kragen fahren müssen, um die Leasingraten zu bedienen, ein halbwegs ausreichendes Einkommen zu erzielen und Renten- und Krankenversicherung bezahlen zu können. Er weiß um jene menschenunwürdigen Umstände, wenn Fahrer abends keine Stellplätze finden und irgendwo verbotenerweise, unter jämmerlichen hygienischen Bedingungen und ständiger Gefahr kampieren müssen.

Dieser Gott lässt auch an sich ran, dass andere Verkehrsteilnehmer die Lkw-Fahrer oft beschimpfen und missachten. Er kann verstehen, wenn diese selbst aggressiv reagieren, den Druck weitergeben, einander bedrängen und vor allem, dass sie einfach immer wieder fix und alle sind. „So wie wir leben, ist das einfach kein Leben mehr“, klagen viele. Als Fahrer droht man einsam und beziehungslos zu werden. Zu Hause kracht es in Partnerschaft und Ehe, ganze Familien zerbrechen. Denn im Unterschied zu den Nomaden in der Wüste ziehen bei den Autobahnnomaden die Familien nicht mit. Für Freundschaft, Vereine, Kultur, Kirche und Politik bleibt keine Zeit. Fahrer leben äußerst ungesund und dürfen vor allem nicht krank werden. „Als Fahrer wirst du ganz bestimmt nicht alt“, vermutete einer.

Schreit es hinaus, sagt diese Geschichte der Befreiung. Findet euch nicht damit ab! Da ist einer, der hört …

Die zweite Botschaft:
Der Gott der Bibel
sieht und hört nicht nur,
er handelt!

Er „fährt herab“, so heißt es wörtlich im Text, um das unterdrückte Volk den Unterdrückern zu entreißen. Er ist ein Gott, der aus Leidenschaft für die Menschen brennt. So kann man wohl die seltsame Erscheinung deuten, dass sich Gott dem Mose in einem brennenden, aber nicht verbrennenden Dornbusch zeigt. Das Feuer – etwas Kostbares im Leben der Nomaden – bedeutet immer Leidenschaft, Veränderung, Umgestaltung, nicht Zerstörung. Was da abgeht mit Gottes Volk in Ägypten, muss durch Feuer hindurch, muss verwandelt und umgestaltet werden.

Dieser Gott gibt sich dem Mose nicht nur im Zeichen, sondern auch in seinem ganzen Wesen zu erkennen. „Erkennen“ heißt in der Bibel mehr als nur sehen und begreifen. Es bedeutet, sich dem andern gegenüber liebend zu öffnen und sich ihm hinzugeben.

Gott liebt sein Volk so sehr, dass er seinen eigenen Namen mit dieser Liebe verbindet, seinen Kosenamen sozusagen: Er ist der „Ich-bin-da“. Er ist immer da, wach und stets präsent, wie Liebende füreinander da sind.

Wenn dieser Gott der Bibel sich für die Nomaden damals nicht zu schade war, dann sicher auch für die Nomaden heute auf der Autobahn mit ihren Karawanen. Dann brennt er auch für sie aus Leidenschaft. Abhängigkeit, Unterdrückung sind nicht sein Ding! Da fährt er, da „fährt er herab“, denn alle sollen ein Leben in Fülle haben.

Der dritte Kern,
der sich aus dieser
Erzählung herausschält:

Gott handelt nicht für die Menschen, sondern nur mit ihnen. Wir sind nicht seine Marionetten, sondern seine Partner. Er tut nichts ohne uns. Mose – und später auf seine Bitte hin sein Bruder Aaron – sind die Auserwählten. Keine Revolution, keine Veränderung in der Menschheitsgeschichte, die nicht mit Namen und Schicksalen zu verbinden wäre. Die Menschen in Unterdrückung brauchen Inspiratoren, die sie begeistern und mitreißen. Die überzeugt und überzeugend selbst vorangehen, die sich total einbringen und alles auf diese eine Karte setzen, Scheitern inklusive. Keine dankbare Aufgabe! Mose versucht, sich zu drücken. Vergebens! Der Ruf Gottes kann jeden treffen. Denn Mose war einer wie du und ich.

Befreiung setzt weit unten an. Ein jeder muss bereit sein, seinen Part zu übernehmen. Es geht ganz schlicht um Solidarität. Die ist im Leben der Fahrer problematisch! Die Arbeitsbedingungen erschweren die kollegiale und betriebliche Solidarität. Fahrer werden schnell zu „Einzelkämpfern“, das erleichtert der Gegenseite das Geschäft. Sie kann schalten und walten, wie sie will, und trifft auf wenig gemeinsamen oder gar organisierten Widerstand. Der „Ich-bin-da-Gott“ hat es nicht leicht, mit dem fahrenden Volk sein Befreiungswerk zu beginnen.

Zwar ist der „Kapitän der Landstraße“ längst nur noch eine Karikatur. Dennoch sitzen manche schon noch weit oben auf ihrem Bock und müssen erst einmal herunter vom hohen Ross, um mit ihren Kollegen solidarisch zu sein und miteinander zu kämpfen um gerechte Entlohnung, menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Gesundheitsschutz und Zeitkultur. Der „Ohne-mich-Standpunkt“ steht in krassem Widerspruch zum „Ich-bin-da“ des biblischen Gottes.

Die vierte Schicht,
die es aus dem Text zu lösen gilt,
ist die Vision vom „gelobten Land“.

Diese Vision erweist sich im Aufstand und später im erbarmungslosen Zug durch die Wüste als die treibende Kraft. Es ist die grandiose Zusage, ein Land geschenkt zu bekommen, in dem „Milch und Honig fließen“. Die Milch deutet – ähnlich wie für die sesshafte Bevölkerung das Brot – hin auf die ausreichende Existenzgrundlage. Niemand wird mehr darben! Der Honig aber, später dem Wein entsprechend, weist hin auf des Lebens Wonne und Süßigkeit. Auch da soll keiner Mangel leiden! Beide Komponenten zusammengenommen ergeben erst „gutes Leben“. Wo diese Vision im Volke Israel verlorenging, begann die Klage und machten sich Depression und Resignation breit. Ohne eine Vision kann keine Befreiung gelingen.

Auch Fahrer sollten nicht aufhören, vom besseren Leben zu träumen und diesen Träumen Raum und Zeit zu geben im gemeinsamen Feiern. „Vorwegfeiern“, was erst noch zu erkämpfen ist. Aber Feiern macht stark, gibt Mut, stählt den Zusammenhalt. Nur wer den Mut hat, mitten in der Bedrängnis zu feiern, der kann auch kämpfen.

Paul Schobel